Polizeiwache Duisburg-Ruhrort, zweiter Stock. Am Türrahmen klebt ein Sticker, der ins Auge fällt: „Kurve kriegen“ ist darauf zu lesen. Hinter der Bürotür im Kommissariat Kriminalprävention und Opferschutz haben zwei Sozialarbeiterinnen der Grafschafter Diakonie ihre Basis. Alina Glass (37) und Kathrin Elbers (35) ergänzen das dortige Team seit Anfang 2025.
Ihr Ziel: Frühzeitige Hilfe für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche leisten, bevor sich die Entwicklung verfestigt und sie anderen und sich selbst dauerhaft Schaden zufügen. „Mit dem, was wir tun, wollen wir ihnen zeigen: Wenn ihr bereit seid, gemeinsam mit uns an eurem Verhalten zu arbeiten, könnt ihr die gleichen Chancen haben wie andere“, sagt Sozialarbeiterin Kathrin Elbers.
Dabei gehen die jungen Fachkräfte systematisch an die Sache: Am Anfang stehen ein Screening und die Auswahl potenzieller Teilnehmender durch die Polizeibehörde, die besonders gefährdete Jugendliche identifiziert. Wenn die Sorgeberechtigten ihre Zustimmung gegeben haben, beginnt die sozialpädagogische Arbeit. „Wir nehmen als erstes das ganze Leben in den Blick, einfach alles“, erklärt Alina Glass. „Wie ist die Familie aufgestellt? Welchen Tagesablauf haben die Kinder, an welchen Orten halten sie sich auf? Wie ist es mit Freundinnen und Freunden, der Peer-Group? Wie gestaltet sich die schulische Situation?“ Darauf aufbauend erarbeiten die Sozialarbeiterinnen das Unterstützungsprogramm. Von der Ambulanten Familienhilfe durch das Jugendamt über mögliche Lernförderung oder therapeutische Unterstützung, der Suche nach einem passenden Sportverein, Unterstützung im Schulkontext, bis hin zu Sozialkompetenz- und Gewaltpräventionstrainings reichen die Maßnahmen.
Für die Kinder und ihre Eltern bedeute das eine enorme Entlastung: „Den Familien sind die Möglichkeiten zur Unterstützung häufig nicht bekannt und die Kinder und Jugendlichen sind erleichtert, dass sie nun Hilfen erhalten und ihnen eine Vertrauensperson zur Seite steht“, berichtet Kathrin Elbers.
Ein Beispiel hierfür ist der zwölfjährige Ahmed: „Er ist vor einigen Jahren mit seiner Familie aus seinem Herkunftsland geflohen und hat in seinem kurzen Leben schon viel erlebt. Zurzeit arbeiten wir intensiv an seiner Impulskontrolle und seinem gewaltbereiten Verhalten“, erzählt sie. Erste Verbesserungen machen sich bereits bemerkbar. Ahmed hat gelernt, die Perspektive seines Gegenübers einzunehmen, durchzuatmen und ruhiger zu bleiben. Ganze sechs Wochen habe er es auf diese Weise geschafft, in keine einzige körperliche Auseinandersetzung zu geraten, so Kathrin Elbers.
Zur Belohnung holte die Sozialarbeiterin den hundebegeisterten Jungen in der vergangenen Woche gemeinsam mit ihrem Therapie- und Pädagogikbegleithund Lio von der Schule ab. Den Nachmittag verbrachten die beiden zusammen mit dem Vierbeiner der Sozialarbeiterin am Rhein. An die spontane Rückmeldung ihres jungen Klienten erinnert sie sich noch gut: „Heute war einer der schönsten Tage meines Lebens“, sagte der Junge zum Abschied.
Info: Die Initiative „Kurve kriegen“ des Landes Nordrhein-Westfalen richtet sich an kriminalitätsgefährdete Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren und ihre Familien. Ziel ist es, die jungen Teilnehmenden durch individuelle, passgenaue Reaktionen und Maßnahmen nachhaltig vor einem dauerhaften Abgleiten in die Kriminalität zu bewahren. Die Teilnahme ist freiwillig. Die kriminalpräventive Initiative wurde auf Grundlage der Erkenntnisse einer Enquetekommission für effektive Präventionspolitik im Jahr 2011 entwickelt. Landesweit gibt es 42 „Kurve kriegen“ Standorte. In der Polizeiwache Duisburg-Ruhrort setzen es die beiden Sozialarbeiterinnen der Grafschafter Diakonie zusammen mit zwei Kolleginnen vom Diakoniewerk Duisburg um. Das Land Schweden hat das Programm 2023 adaptiert und setzt es mit Unterstützung des Könighauses an drei Standorten um. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) empfiehlt „Kurve kriegen“ ihren 57 Mitgliedstaaten als Best-Practice im Bereich der Verhinderung von Jugendkriminalität. Mehr unter: www.Kurvekriegen.nrw.de