Theatergruppe

Eine Geschichte über die Theatergruppe

An jedem Mittwoch am späten Nachmittag treffen wir uns.

Wir kommen aus verschiedenen Richtungen. Viele von uns haben in unterschiedlichen Kontexten gearbeitet. Jeder musste sich den wiederkehrenden großen und kleinen Herausforderungen des Alltags stellen. Eigentlich sind wir schon ein bisschen müde, wollen ein wenig reden, uns dabei entspannen, um dann möglichst bald den Tag ausklingen zu lassen. 

Aber dann fangen wir an zu spielen. Von irgendwoher fallen seltsame Einfälle auf uns herab:  

Ein verzagter Sohn will seiner Mutter, der äußerst standesbewussten Gräfin Estelle von Pigage endlich erzählen, dass er schwul ist. Wie wird sie reagieren? Vielleicht ganz anders als erwartet? 

Drei aufmüpfige Weihnachtsmänner und ein Engel bringen die so schön geordnete Welt eines gut bürgerlichen Familienvaters gründlich durcheinander - und unverhofft werden die Karten des Lebens neu gemischt.

Nach fünfzig Ehejahren und dem anrührenden Bekenntnis, dass man sich mehr liebt denn je wagt das alt gewordene Paar noch einmal einen Tanz, erst holprig und steif; doch dann verflüssigen sich die Bewegungen plötzlich immer mehr. Welche Kraft ist da am Werk, die Flügel und Jugend verleiht?

Indem wir diesen erstaunlichen Einfällen Raum geben und ihnen im Spiel eine Gestalt verleihen, kehren unsere Lebensgeister zurück. Wir erlauben uns, die Grenzen einer manchmal einengenden Vernunft hinter uns zu lassen und in eine buntere, freiere Welt, die es uns erlaubt, in Rollen zu schlüpfen, die uns im täglichen Leben eher fremd sind, einzutauchen. Dann staunen wir über uns selbst: Ich, der ich mich sonst als so zurückhaltend und unscheinbar erlebe, spiele den mächtigsten Magier der Welt?

Aber nicht nur darüber wundern wir uns, sondern auch über die Art, wie sich aus unseren seltsamen Einfällen, die aus sehr verschiedenen Welten in unsere Spielwerkstatt geschwebt kommen, eine Geschichte, die man erzählen und vorführen kann, formt. Vielleicht steckt in diesen nicht ganz ergründbaren Vorgängen ein Funke von lebendiger Kultur.

Jedoch nicht nur die Worte tanzen – wir tun es auch. Denn das Gefühl, das wir ausdrücken wollen, ist auch ein Lied und die jeweilige Situation hat einen Rhythmus. Wie viel stärker wirkt unser Spiel, wenn wir diese sinnliche, körperliche Ebene einbeziehen, als wenn wir uns allein auf die Möglichkeiten der Sprache verlassen würden?

Dass die meisten von uns Berührungspunkte mit dem großen Feld der Psychiatrie haben, die einen, die schon einmal Dienstleistungen in Anspruch genommen haben, die anderen die eben solche anbieten, erscheint uns in unserem gemeinsamen tänzerischen Spiel oder gespielten Tanz belanglos. Auf unserem spannenden Weg unterstützen und beflügeln wir uns gegenseitig und wandern durch die Höhen und Tiefen eines nicht immer einfachen Entwicklungsprozesses als Partner.

Zurück zur Übersicht