Deutlich zu wenig Ärzte in Moers und Kamp-Lintfort

Von außen betrachtet schien alles normal. Jeden Morgen fuhr Michael S. (Name geändert) mit dem Auto zur Arbeit. In einem Handwerksbetrieb verdiente er nicht schlecht. Doch tatsächlich war überhaupt nichts in Ordnung. Michael S. benötigte täglich eine hohe Dosis des Betäubungsmittels Heroin. „Ich hatte zwar mein Einkommen, aber das Geld reichte nicht für den Stoff. 24 Stunden am Tag war ich damit beschäftigt, den Schein zu wahren, mir Gedanken über das Beschaffen zu machen und am Abend zu konsumieren.“ Irgendwann schaffte er das nicht mehr. „Ich ging völlig kaputt zum Arzt“, erinnert er sich. Dieser schlug eine Substitutionsbehandlung vor. Dabei werden opiatabhängigen Patienten Ersatzstoffe wie das Medikament Methadon verschrieben. Die Mittel vermeiden Entzugserscheinungen und die sozialen, körperlichen und psychischen Risiken des illegalen Konsums, ohne die berauschende Wirkung der Originalstoffe zu zeigen. Auch Michael S. erhielt den Ersatzstoff Methadon. Das war vor zehn Jahren. Seitdem gibt es in seinem Leben wieder mehr Platz für Normalität. Für Michael S. bedeutete das, für seinen Sohn aus einer früheren Beziehung da sein zu können und den ungeliebten Job im Handwerksberuf zu verlassen. Eine Umschulung für eine Tätigkeit im sozialen Bereich gelang. In dieser arbeitet er der 50-Jährige noch heute. Ein wichtiger Schritt, den er mit der Hilfe von Frank Dosin unternahm. Der Berater der Moerser Drogenhilfe der Grafschafter Diakonie, dem Diakonischen Werk im Kirchenkreis Moers, sitzt ihm mit FFP2-Maske und Hygieneschutzwand im Besprechungsraum gegenüber. Michael S. ist zum Gespräch in die Beratungsstelle an der Rheinberger Straße gekommen. Der Moerser ist einer von 207 Männern und Frauen, die die Drogenhilfe an den Standorten Moers und Kamp-Lintfort im Rahmen ihrer Substitutionsbehandlung psychosozial begleitet. Die Berater sind in psychischen Krisen als stützende Gesprächspartner da und stehen in praktischen Fragen der Existenz zur Seite: Wie kann ich meine Wohnung behalten oder eine neue finden, kann es gelingen, wieder einen Schritt ins Berufsleben zu machen, hilft mir eine nochmalige Entzugstherapie weiter?

Drogenhilfe ist für die psychosoziale Begleitung der Substituierten da / Beratungsstellen sind in der Pandemiezeit weiterhin geöffnet

Dosin weiß, dass Entwicklungen wie die von Michael S. vielen Substituierten nicht möglich sind. „Die körperlichen und seelischen Folgen werden über die Jahre sehr massiv und für die Betroffenen geht es darum, mit dem Ersatzstoff schlicht ihr Überleben und die verbliebenen Gesundheit zu sichern“, sagt er. Dafür benötigten die Betroffenen auch eine enge medizinische Betreuung. Die Leiterin der Drogenhilfe Britta Dietrich-Aust zeigt sich an diesem Punkt besorgt: „Wir haben im Kreis Wesel deutlich zu wenig Ärzte, die sich um die Substituierten kümmern“, sagt sie. In Moers nimmt nur eine Praxis den Hauptteil der Substituierten auf, die nächsten liegen in Rheinberg, Duisburg und Krefeld. Bea P. (Name geändert), die an diesem Nachmittag ebenfalls zum Beratungstermin gekommen ist, hat Erfahrung damit. Die 61-jährige wohnt in Moers, um nah bei ihrer Mutter sein zu können, die wegen einer Alzheimererkrankung pflegebedürftig ist. Um das Rezept für ihr Substitut zu erhalten, fährt sie mehrmals die Woche mit dem Bus bis nach Krefeld. „Ich werde dort gut betreut und ich muss nicht an einem Vergabeschwerpunkt in der Warteschlange stehen. Aber die Fahrt ist lang und in Pandemiezeiten mache ich mir oft Sorgen wegen der Ansteckungsgefahr.“

Der Kreis Wesel hat die Möglichkeit zur Substitutionsbehandlung im Jahr 1997 geschaffen. Seit diesem Jahr ist die Drogenhilfe der Grafschafter Diakonie in Moers und Neukirchen-Vluyn für die psychosoziale Betreuung der Betroffenen zuständig. Im Jahr 2017 übernahm die Drogenhilfe diese Aufgabe zusätzlich am Standort Kamp-Lintfort. Von dort aus kümmern sich die Fachkräfte auch um die Substituierten in Rheinberg, Xanten, Sonsbeck und Alpen.
Die Drogenhelfer sind auch in der Zeit der Pandemie für die Substituierten telefonisch und nach den Maßgaben des Infektionsschutzes vor Ort in den Beratungsstellen erreichbar.

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